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Montag, 31. Januar 2022

Die Kunst der Bewerbung

Mit dem Gepflogenheiten des Arbeitsmarktes auf der anderen Seite der Kugel werde ich mich noch anfreunden müssen. Es läuft ein bisschen so, wie bei diesen Spielen, bei denen man die Regeln kennt. Man tut was, und wenn's richtig war, bewegt sich die Maschine, sonst nicht. So findet man über aufwändiges try-and-error irgendwann heraus, wie das Game läuft.

Mein Fokus bei der Stellensuche lag über Monate bei LinkedIn. Dort habe ich brav jeden Tag die Stelleninserate gescannt und mich auf Teufel-komm-raus bei allem beworben, was im Entferntesten in Frage kam.

Eine Bewerbung ist aufwändig. Sie alle wollen einen Cover Letter, der individuell auf die Annonce geschrieben ist, einen CV im PDF-Format, leiten einem aber dann auf ein Tool um, bei welchem man alle Stationen seines Lebens noch einemal in ein weniger oder noch weniger intelligentes Formular eintippt. In rund 10% der Fälle sind diese Formulare sogar so brilliant, dass es mir nicht möglich war, sie erfolgreich abzusenden, ohne grundsätzlich über mich oder meinen Werdegang lügen zu müssen.

Am Anfang hat mich eine Bewerbung gut und gerne eine Dreiviertelstunde gekostet, mit der Zeit ging's in 20 Minuten. Nichts geändert hat sich aber am Resultat: Von über 70 Bewerbungen kamen grad mal 7 Antworten: Leider hat's bei einem anderen Kandidaten besser gepasst. Auf Rückfrage habe ich dann erfahren, dass die administrativen und finanziellen Aufwände, einen Ausländer einzustellen, einfach viel zu hoch seien und man die Stelle dann lieber einfach nicht besetze. Bei den unbeantworteten bin ich mir sicher, dass ein Grossteil davon nie einen Menschen zu Gesicht bekommen hat. Meine Bewerbung bei Google ist auf jeden Fall immernoch im Status "ungelesen" und der Job ist seit über 6 Monaten ausgeschrieben.

Letzte Woche habe ich dann auf der Weihnachtsfeier meines Payrolers einen Australier kennengelernt. Wir haben uns natürlich ausgiebig über mein aktuelles Lieblingsthema unterhalten. Sein Kommentar: "LinkedIn"? Das kennt in Australien niemand, vergiss das. Du musst über die Job-Agencies gehen, alles andere bringt nichts. Die wissen, wer sponsert und wer nicht und kennen den Markt. Such dir die 10 aktivsten Makler raus und schreib' die an.

Aha. Meine Leiter stand also an der falschen Wand.

Go or No-Go?

Wie zwei Honigkuchenpferde strahlten wir uns gegenseitig an - die Email "Letter of Offer" in meiner Inbox und ich. Nach drei Runden interviews waren sich die Firma und ich einig: Wir passen zueinander. Ich habe mich inzwischen damit abgefunden, dass in den australischen Arbeitsverträgen offenbar der Arbeitnehmer sämtliche Risiken trägt. Am Ende des Tages läuft es darauf hinaus, dass dich dein Arbeitgeber jeden Tag feuern kann und wir kurz darauf Rückflugtickets buchen.

Klingt im ersten Moment unfair, auf der anderen Seite ist es aber irgendwie auch tragbar. Für uns ist das ganze ein Erfahrungs-Projekt. Wenn's schief geht: jänu. Dann ist halt früher Ende. Ich denke, wenn ich mir hier jetzt versuche, den völlig risikofreien Vertrag hinzuverhandeln, nützt das em Ende des Tages eh wenig, und ich riskiere damit nur, dass die Company es sich noch anders überlegt.

Eine andere Frage, die uns schlussendlich mehr beschäftigt, ist die Frage, ob es in der Hochkonjunktur eines chinesischen Killerviruses eine gute Idee ist, sich auf ein solches Luxusabenteuer einzulassen. Dem Bauchgefühl zufolge sicher nicht. Das Bauchgefühl reflektiert aber die aktuelle Situation. Ich gehe davon aus, dass sich die Lage diesbezüglich in 3-4 Monaten etwas entspannt hat. Wenn nicht, können wir dann immer noch den Flieger verpassen. Würde ich hingegen jetzt absagen, dann war's das mit Australien. Ich habe keine Alternativen, und auch keine Energie mehr, mich weiter um solche zu bemühen.


Das tiefe Motivationsloch

Der Jahresstart war nicht lustig. Seit Monaten hatten die ganze Familie auf unsere Abreise hingearbeitet. Umzugsplatz im Container ist ziemlich teuer, weshalb wir uns von Dingen getrennt haben. Das war emotional eine ziemliche Belastung. Kein Zweifel: Unsere Wohnung war völlig überstellt und überfüllt und eine Entschlackung war dringend nötig. Mit unserem Neuanfang auf der anderen Seite des Planeten hatten wir bestimmt eine gute Motivation, grosszügig auf- und auszuräumen. Es hat sicherlich geholfen, im Zweifelsfall etwas grosszügiger mit der Kehrschaufel zu wirken, als wir dies ohne getan hätten. Trotzdem war viel Trennungsschmerz mit dabei, der sich in dieser Zeit auch öfter in familiären Wolkenbrüchen entladen hatte. Auf der anderen Seite hatte ich erstmals das Gefühl, in unserer Wohnung atmen zu können.

Dafür war ich energietechnisch am Boden. Die letzten Monate waren anstrengend, und dass der Marathon 2 Meter vor der Ziellinie abgesagt worden war, hat mich schliesslich emotional umgehauen. Ich kann mich an wenige Zeiten im Leben erinnern, an denen ich mich leer fühlte. Aber das war einer davon. Wir standen da, einen Grossteil unseres Hausrats in 40 gepackten Kisten im Keller, keine alternativen Optionen und ich Lust mehr. Wunderbar :(

Zu Beginn unserer Reiseplanung hatte ich einige Bücher übers Auswandern gelesen. Einer der Tipps war, es "mit ganzem Herzen" anzugehen, es allen zu erzählen, es nicht unter dem Deckel zu halten. Das habe ich befolgt. Es liegt mir und hat sehr viele Vorteile gebracht. Meine Bitte um Unterstützung in LinkedIn hat mir viele tolle neue Kontakte und Gespräche beschert. Nun aber kam die Schattenseite der Medaille: Alle wussten von unseren Pläne. Und dass viele, die uns Hilfe angeboten hatten, sich auch wieder nachfragen, "wie's läuft" zeigt, dass es Ihnen ernst war mit der Hilfe - aber ihnen in diesem Moment einzeln der Scheitern einzugestehen war nicht einfach. Es kostete Energie, die ich nicht hatte. Publik rausschreien wollte ich es nicht. Einerseits hätte es auch zu Reaktionen und Nachfragen geführt, andererseits hatte ich noch ein paar wenige hängige Bewerbungsverfahren, die ich nicht riskieren wollte.